Ich habe lange überlegt, ob ich mich zur Rede Angela Merkels am Brandenburger Tor äußern soll. Aber ihr verallgemeinerndes Neuland-Gequatsche geht mir so tierisch auf den Sack, dass ich nicht umhinkomme.

Das Internet ist für uns alle Neuland, und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung, mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen.

Ich bin seit 1994 im Internet unterwegs, zuerst bei AOL und dann mit der eigenen Domain. Dabei habe ich auch Neuland beschritten (siehe hier und hier im Webarchiv), aber doch eher als Entdecker einer völlig neuen Technologie, statt als Eroberer.

Inzwischen betrachte ich das Internet, wie viele andere auch, nicht mehr als Neuland, sondern als festen Bestandteil meiner täglichen Kommunikation sowie politischen Bildung. Das Netz ist aus dem Demokratieprozess nicht mehr wegzudenken, nein es hat sich zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor entwickelt und hat sich in allen Bereichen der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft u.v.m. fest etabliert.

Wenn Frau Merkel als Bundeskanzlerin von Neuland spricht, so möchte ich glauben, dass Sie hier ihre eigene subjektive Sichtweise auf das Internet beschreibt. Für Frau Merkel mag das Internet Neuland sein, diese Meinung aber der Allgemeinheit überzustülpen halte ich für äußerst fatal und zeigt, dass die Politik noch längst nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist.

Statt das Netz für sich zu entdecken, versucht die Politik sich eher als Eroberer, um den Bürger mit Bestandsdatenauskunft oder Vorratsdatenspeicherung, die der demokratischen Grundordnung zuwiderlaufen, zu gängeln. In aller Regelmäßigkeit wird darüber fabuliert, dass Internet dürfe kein “rechtsfreier Raum” sein und dessen Überwachung diene zur Terrorabwehr und zum Bekämpfen von Kinderpornographie.

Nein das Netz ist kein rechtsfreier Raum, war es nie, der Gesetzgeber schafft eher welche und nein, die Anfragen zur Telekommunikationsüberwachung von 2009 zu den beiden genannten Punkten rangiert eher am Schluss der Statistik.

Nein es sind nicht nur Feinde und Gegner unserer demokratischen Grundordnung, die mit dem Internet völlig neue Möglichkeiten und Herangehensweisen haben, um unsere Art zu leben in Gefahr bringen. Es sind Organisationen wie der Verfassungsschutz, der BND oder die NSA, die rechtsstaatliche Prinzipien unterwandern und sich einer transparenten Kontrolle entziehen.

Es sind Leute wie Erdogan, die die Twitternutzung verbieten wollen, weil der mündige Bürger schon längst in diesem Neuland das demokratische Potential für sich entdeckt hat und gegen die totalitäre Regierung aufbegehrt.

Wenn Bundeskanzlerin Merkel die massenweise Datenspionage durch den amerikanischen Geheimdienst NSA (PRISM) damit rechtfertigt, dass das Internet für uns alle Neuland ist, dann sehe ich für unsere demokratische Grundordnung wirklich schwarz.

tl;dr

Die Nutzerzahl des Internets wächst ständig an, insbesondere bei den Nutzern ab 50+. Für die Einen mag es Neuland sein und sie sind gerade dabei, das Netz für sich zu entdecken, für die Anderen ist es das zweite zu Hause oder der Arbeitsplatz.

Die Begeisterung für das Internet kann ich übrigens täglich bei meiner Mutter (74) sehen, die ständig neue Sachen für sich entdeckt und für die ihre Freunde nur einen Mausklick weit entfernt sind.

Für Sie mag das Internet Neuland sein, weil Sie jeden Tag aufs neue die vielfältigen Möglichkeiten mit Neugier entdeckt und sich die Faszination für diese Technologie bewahrt hat. Ganz im Gegensatz zu Merkel.

Zur Info Frau Merkel!

Das Internet ging übrigens 1969, zwei Jahre nach meiner Geburt, aus dem ARPANET hervor. Das hat sich einfach so entwickelt, da musste nichts abgerungen werden, ganz im Gegensatz zu Neuland und der Neulandgewinnung.